Die Chancen und Hürden eines Integrationskurses – ein Interview

9. Juni 2021

„Integrationskurse“ haben das Ziel, den Teilnehmenden die Sprache, Geschichte, Kultur und Rechtsordnung Deutschlands zu vermitteln. Eine Sprachkursdozentin berichtet über ihre Erfahrungen.

Welche Rolle spielt der Integrationskurs für das Ankommen in Deutschland?

Der Integrationskurs ist sehr wichtig für das Ankommen in Deutschland. Zunächst einmal setzt er ein Zeichen: Wir nehmen Menschen auf und bieten ihnen die Möglichkeit, Deutsch zu erlernen – oder umgekehrt: Wir verlangen, dass die Menschen Deutsch lernen. Sicherlich sehen die einen Ersteres mehr, die anderen Letzteres. Die Inhalte des Sprachkurses sind praxisnah. Behandelte Themen sind zum Beispiel: Wohnen, Arbeit, Einkaufen, Ämter und Behörden sowie Gesundheit. Ziel ist also, die Menschen sprachlich „fit für den Alltag“ zu machen, also Ankommen und Integration zu erleichtern. Ich denke allerdings, dass der Integrationskurs mehr Bedeutung hat als nur das Sprachelernen: Viele unserer Teilnehmenden waren wochen- oder monatelang auf der Flucht und müssen „Alltag“ und Routine erst wieder neu lernen. Ein regelmäßiger Kurs kann hier wieder Struktur schaffen. Wenn es gut läuft, lernt man im Kurs außerdem nette Menschen kennen. 

Wo liegen Grenzen?

Inwieweit die Lernenden dieses Ziel erreichen, ist jedoch sehr individuell. Manche Teilnehmende erreichen das Niveau B1 auch nach mehreren Versuchen nicht. Diese Menschen arbeiten dann häufig im Niedriglohnsektor, manche bewegen sich hauptsächlich in ihrer „Community“. Im Orientierungskurs müsste man noch viel mehr politische, historische oder kulturelle „außerschulische Lernorte“ besuchen, um erfolgreich zu zeigen, wie unsere Gesellschaft funktioniert. Außerdem kann man niemanden zum Lernen zwingen. Zwar kann das Jobcenter z.B. ständiges Fehlen sanktionieren. Wenn jemand aber nie die Hausaufgaben macht oder permanent irgendwelche Krankschreibungen einreicht, kommt man hier nicht weiter. Das Gleiche gilt für die Haltung gegenüber den Werten unserer Gesellschaft. Wenn man das ganze Leben etwas anderes gehört hat, reicht ein Integrationskurs nicht aus, um Toleranz zu vermitteln. 

Wovon hängt der Gewinn der Kurse für den/die einzelne/n Teilnehmende/n ab?

Ein wesentlicher Faktor ist immer die eigene Motivation, aber man muss auch wissen, dass man eine Sprache nur lernt, indem man Vokabeln und Grammatik auch mal zu Hause übt. Am besten schneiden  oft Teilnehmende ab, die über gute Bildung verfügen. Für viele von ihnen ist Deutsch nicht die erste Fremdsprache. Daher ist auch die Integration in den Arbeitsmarkt häufig einfacher. Wer dagegen eine geringe Schulbildung hat, tut sich meistens schwerer mit dem Lernen. Hilfreich ist es auch, wenn Teilnehmende außerhalb des Kurses viel Deutsch sprechen. Eine gute Gelegenheit sind Sprachtandems oder interkulturelle Events. Viele Frauen versorgen zusätzlich Haushalt und Kinder und haben wenig Zeit zum Lernen. Viele von ihnen verlassen außerhalb der Kurszeit kaum das Haus. Elternabende und andere Veranstaltungen besucht häufig der Mann. Es gibt also wenig Gelegenheit – oder auch keine Notwendigkeit – das Gelernte anzuwenden. Viele Frauen sind mit dieser Situation nicht zufrieden, weil sie eigentlich besser Deutsch lernen wollen. Es ist deshalb wichtig, dass man im Integrationskurs beispielsweise auch mit lokalen und überregionalen Frauenorganisationen zusammenarbeitet. Es kommt vor, dass ein Mann möchte, dass seine Ehefrau an einem Alphabetisierungskurs teilnimmt, obwohl sie gut lesen und schreiben kann. Einen solchen Wunsch berücksichtigen wir selbstverständlich nicht. Manche Menschen sind sehr stark mit ihrer persönlichen Situation beschäftigt. Sie können dem Unterricht kaum folgen und teilen das auch so mit. Bei einigen kennt man auch die Vorgeschichte und weiß, dass sie schwer traumatisiert sind. Wir haben einzelne Teilnehmende mit einer solchen Erkrankung, die nach 1200 Stunden kaum ein paar Sätze über sich selbst sagen können. Trotzdem ist der Kurs wichtig. Er gibt dem Leben eine Struktur. Die anderen Teilnehmenden zeigen meistens auch Verständnis für diese Menschen und nehmen sie gut auf. Dann bleibt vielleicht eine schöne Erinnerung an den Kurs – und das kann ja auch ein kleiner Schritt zur Integration sein.

Renate (48) arbeitet seit sechs Jahren als Lehrerin von Integrationskursen. Sie unterrichtet Geflüchtete, aber auch Bürger*innen aus verschiedenen EU- und Nicht-EU-Ländern, die aus beruflichen oder familiären Gründen nach Deutschland gekommen sind.